Wechselkröten bevorzugen in Mitteleuropa das Tiefland (planare bis colline Höhenstufe). Auch in Bayern und Österreich ist dies der Fall. Der überwiegende Teil aller Funde stammt aus einer Höhenlage unter 300m ü. NN. Der rezent höchstgelegene Nachweis des bayerischen Alpenvorlandes liegt südlich von München in 590m ü. NN (SCHMIDTLER & GRUBER 1980).
1998 wurde in den Chiemgauer Alpen auf der Oberwiesenalm in 1150m Höhe von Labus und Mayr ein spektakulär hoch gelegenes Laichhabitat entdeckt und von Andrä bestätigt. Der Entdeckung folgte eine Langzeituntersuchung von 1998 bis 2007 (ANDRÄ 1999, 2008 und ANDRÄ & DEURINGER 2011). In deren Verlauf wurden 2001 und 2006 zwei weitere Laichplätze in 1350m ü. NN auf der Riesen- und der Pölcheralm gefunden. Die drei Laichplätze gehören zu einem Gesamtlebensraum, der sieben Almen und ca. 250ha Weideland umfasst. Es ist der am höchsten gelegene Laichstandort der Art in Mitteleuropa nördlich des Alpenhauptkammes.
Lage der Oberwiesen-, der Riesen- und der Pölcher-Alm in den Chiemgauer Alpen: Laichplätze der Wechselkröte in einer Höhe von 1150 m bzw. 1350m Höhe ü. NN |
Eine ausführliche Beschreibung des Lebensraumes (Geografie, Geologie, Klima, Beschreibung der Almen) geben ANDRÄ & DEURINGER-ANDRÄ (2011), S. 22.
Die Besiedlungsgeschichte dieses Lebensraumes durch die Wechselkröte, die normalerweise in dieser Höhenlage nicht vorkommt, ist vermutlich nicht mehr vollständig zu klären. Prinzipiell hat sie sich postglazial die Donau aufwärts und entlang deren dealpinen Flüssen bei uns verbreitet und könnte dabei auch bis in das klimatisch begünstigte Inntal innerhalb der Alpen vorgedrungen sein. Neueste Analysen der mitochondrischen DNA, die derzeit von einem internationalen Forscherteam durchgeführt werden, deuten allerdings darauf hin, dass die Almpopulation — ebenso wie die österreichischen Innpopulationen von Bufo viridis — mit solchen aus Italien verwandt sind. Sie müssten demnach durch einen Genfluß von Individuen, die einst den Brenner überquerten, entstanden sein (vgl SCHMIDTLER & al. 2006).
Vom Inntal aus könnte die Wechselkröte über das Trockenbachtal auf diese Alm gekommen sein, auf der sie sich — begünstigt durch das lokalklimatisch kontinentale Kleinklima dieser Karstkessellage — in offensichtlich schon lange währender Isolation etabliert hat. Hierfür sprechen eine Reihe von Fakten, die auf spezifische Anpassungen hindeuten, die vermutlich auch zu genetischen Veränderungen gegenüber den Tal-Populationen geführt haben (siehe auch ANDRÄ & DEURINGER-ANDRÄ 2011, S. 41 und S. 55):
Die Größe der Gesamtpopulation unterlag in der Vergangenheit starken Schwankungen. Durch Zeitzeugen ist belegt, dass die Bestandsgröße auf der Oberwiesenalm von ca. 1940 bis in die Mitte der 1980er Jahre eine sehr hohe Zahl (vermutlich mehrere hundert) rufender Männchen umfasst hat. Von da an bis 1998 sind keine konkreten Aussagen möglich. Für den Zeitraum von 1999 bis 2010 ist von einem Gesamtbestand von nur noch rund 40 adulten Tieren auf allen Almen zusammen auszugehen (Männchen und Weibchen; Abschätzung auf Basis der Zählungen).
Hinsichtlich des Reproduktionserfolges vor 1998 lassen sich keine Aussagen treffen. Innerhalb des zehnjährigen Beobachtungszeitraums ab 1998 konnte nur in sechs Jahren eine Laichablage festgestellt werden (1998, 1999, 2000, 2001, 2006 und 2007), was angesichts des insgesamt geringen Bestandes und des weitläufigen Lebensraumes nicht verwunderlich ist. Auffallend ist allerdings das krasse Missverhältnis zwischen der Anzahl der Gelege (Oberwiesenalm: 13; Riesenalm: eines) und dem daraus entstandenen Aufwuchs (wenn auch die Gesamtzahl metamorphosierter Jungkröten nur grob abgeschätzt werden kann). Für 1998 ist von einer Zahl von rund 1000 Metamorphlingen auszugehen, für das Jahr 2000 von ca. 400—500 und für die Jahre 2001 und 2007 von je etwa 50. In den Jahren 2002 bis 2006 gab es keine erfolgreiche Reproduktion. Das ergibt für den Untersuchungszeitraum 1500—1600 Jungkröten. Wie viele davon überlebt haben, ist unklar. Funde subadulter Jungtiere aus Vorjahren gelangen nur in drei Fällen.
Der außerordentlich starke Bestandseinbruch nach Mitte der 1980er Jahre ist auf die seither veränderte Laichgewässersituation auf der Oberwiesenalm zurückzuführen.
Wechselkröte (Männchen)
auf der Oberwiesenalm
(Foto: E. Andrä)
Die Rücken- und Seitenzeichnung ist für jedes Individuum charakteristisch und unveränderlich. So konnten zwischen 1999 und 2006 insgesamt 26 Individuen identifiziert werden.
Im Zentrum des Almbodens zwischen den Kasern der Oberwiesenalm (1150 m ü. NN) befand sich bis 1980 ein reich gekammerter Lokvenweiher von ca. 100qm Fläche. Er bildete den zentralen Amphibien-Laichplatz der Alm. Im Spätsommer trocknete der Weiher meist fast vollständig aus. Als im Sommer 1980 durch menschliche Einwirkung die wasserstauende Deckschicht des Gewässerbodens durchstoßen wurde, floss das Weiherwasser in die darunter liegende Doline ab.
Aus der Zeit zwischen 1980 und 1987 liegen keine verlässlichen Daten über die Laichplatzsituation auf der Oberwiesenalm vor. Vermutlich bildeten sich auf dem Areal des ehemaligen Lokvenweihers nach Starkregenereignissen temporäre Wasserstellen, die unter günstigen Umständen eine Reproduktion von B. viridis zuließen.
Am 7. Juli 1987 wurde das Gebiet um die Oberwiesenalm von einem gigantischen Unwetter heimgesucht, das auch erhebliche Auswirkungen auf die Gewässersituation auf der Oberwiesenalm hatte. In der Folgezeit bildeten sich bei jedem Starkregenereignis auf Rohbodengelände kleine temporäre Wasserstellen, die von der Wechselkröte als Laichplätze angenommen wurden. Blieben allerdings weitere Niederschläge aus, vertrockneten die Lachen nach wenigen Tagen bzw. Wochen. Bei jedem größeren Starkregenereignis überspülte das Wasser aus dem Klausgraben (kleiner Bergbach auf der Oberwiesenalm) diese Laichplätze und schwemmte Laich und Larven in die südwestlich gelegenen Dolinenlöcher ab. Gelegentlich einer Umleitung des Klausgrabens im Jahr 2000 wurde auch das Rohbodengelände des Almgrunds planiert und ein Laichwasser verfüllt, wodurch sich die Laichplatzsituation weiter verschlechterte.
Bereits ab 1999 zeichnete sich ab, dass die Wechselkröten-Population auf Dauer nur dann eine Überlebenschance haben konnte, wenn auf dem Almgrund im Umfeld der Kaser ein neues Laichgewässer angelegt werden würde. Der Weg dorthin war langwierig und schwierig. Erst im Oktober 2006 konnte mit finanzieller Förderung der unteren Naturschutzbehörde am Landratsamt Rosenheim ein lehmgedichteter Weiher angelegt werden, der allerdings das Wasser nicht hielt.
Nur die Riesenalm (1350m ü.NN) und die Pölcheralm (1346m ü. NN) weisen Gewässer auf, die als Laichgewässer für die Wechselkröte in Frage kommen. Auf beiden Almen konnte während der Langzeituntersuchung nur in jeweils einem Jahr je eine Laichschnur beobachtet werden: auf der Pölcheralm (Laichfund 2006) gab es keinen Laicherfolg, da die Laichschnur verpilzte, auf der Riesenalm (Laichfund 2001) dürfte der Aufwuchs gering gewesen sein, da bald nach Abschluss der Larvalentwicklung Schneefall einsetzte.
Eines von vier Gewässern auf der Riesenalm (August 2012); in diesem konnte 2001 eine Laichschnur der Wechselkröte festgestellt werden (einziger Laichnachweis auf der Riesenalm im Rahmen der Langzeituntersuchung) (Foto: J. Labus) |
Bundes- und bayernweit, aber auch in großen Teilen Österreichs ist die Wechselkröte als „Vom Aussterben bedroht“ eingestuft. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, alle vorhandenen Bestände der Art zu erhalten und bestmöglich zu fördern. Dies gilt insbesondere für Vorkommen an Extrem-Standorten wie dem hier dargestellten Almbereich um die Hochries in den Chiemgauer Alpen, in dem es eine außergewöhnliche, an die Höhenlage angepasste, isolierte Population gibt.
Die besondere Dringlichkeit zur Umsetzung bzw. Förderung der Laichplatzanlagen ergab sich aus der Tatsache, dass diese Population auf der Oberwiesenalm seit 2008 nicht mehr erfolgreich reproduzierte. Es drohte die Gefahr, dass der Bestand zunehmend ausdünnt, genetisch verarmt und letztlich auszusterben droht.
Die Tatsache, dass mangels geeigneten Laichplatzangebots deren Aussterben zu befürchten war, prädestinierte dieses Vorkommen für eine Berücksichtigung im Rahmen der Umsetzung der Bayerischen Biodiversitätsstrategie. Der LARS e.V. stellte daher einen Antrag an die Regierung von Oberbayern zur finanziellen Förderung der Wiederanlage von zwei dauerhaften Laichgewässern für die Wechselkröte. Anfang 2011 beschloss die Regierung von Oberbayern die Förderung im Rahmen der Bayerischen Biodiversitätsstrategie.
ANDRÄ, E.(1999): Höchstgelegenes Laichhabitat der Wechselkröte, Bufo viridis, in den Bayerischen Voralpen und Zusammenstellung der Fundpunkte der Art im Grenzbereich von Bayern und Österreich. — Zeitschrift für Feldherpetologie 6: 187—202.
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ANDRÄ, E.(2008): Hochmontanes Vorkommen der Wechselkröte in Tirol. — Bioskop 04/2008: 29—34.
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ANDRÄ, E. & DEURINGER-ANDRÄ, M. (2011):
Höchstgelegenes Laichhabitat der Wechselkröte (Bufo viridis) in Mitteleuropa nördlich des Alpenhauptkammes im Grenzbereich zwischen Bayern und Tirol — Ergebnisse einer 10-jährigen Langzeitbeobachtung — Zeitschrift für Feldherpetologie 18: 19—68.
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SCHMIDTLER, J.F. & GRUBER, U. (1980): Die Lurchfauna Münchens. Eine Studie über die Verbreitung, die Ökologie und den Schutz der heimischen Amphibien. — Schriftenreihe Naturschutz und Landschaftspflege, München, 12: 105—139.
als pdf verfügbar (8,5 Mb; Quelle: Zoologische Staatssammlung München)
SCHMIDTLER, J. F. & PIEH. A & SCHMIDTLER, H. (2006): Der Brennerpaß in den Ostalpen, Einfallstor und Grenzscheide für die postglaziale Herpetofauna. Zeitschrift für Feldherpetologie, Bielefeld, Supplement 10: 61—89.
weiter: Maßnahmen zur Verbesserung der Reprduktionsmöglichkeiten
Text: E. Andrä
Redaktion: Th. Dürst
letzte Aktualisierung: 6. Mai 2020